In Deutschland sind viele Dokumente aus dem Gesundheitswesen papierbasiert. Sie werden entweder in einem bundesweit standardisierten Layout oder in einem institutionsspezifischen Layout erstellt und zum Teil ausgedruckt, um an andere Institutionen übermittelt oder archiviert zu werden. Die Folge daraus ist, dass Patienteninformationen dezentralisiert bei verschiedenen Institutionen oder beim Patienten bzw. der Patientin selbst liegen, meist in Papierform. Die aktuelle Situation bringt also folgende Nachteile mit sich:
Um das Problem zu adressieren, hat die deutsche Bundesregierung im Juni 2021 das “Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz” (DVPMG) erlassen. Das Gesetz beinhaltet unter anderem, dass deutsche (bisher papierbasierte) Gesundheitsdokumente sowohl digitalisiert als auch standardisiert werden sollen. Die Dokumente sollen in Form von MIOs (Medizinische Informationsobjekte) und PIOs (Pflegerische Informationsobjekte) digitalisiert und standardisiert werden. MIOs und PIOs sind:
Um der Dezentralisierung der Patientendaten entgegenzuwirken, setzt sich die Bundesregierung ebenfalls für eine elektronische Patientenakte3 (ePA) ein. Nach einigen Startschwierigkeiten soll die ePA Anfang des Jahres 2025 für alle Bundesbürger zugänglich sein. Die ePA soll ein zentraler Speicherort (also eine Cloud) für Patientendaten werden. Die Patientendaten sollen in Form von MIOs und PIOs in der ePA gespeichert werden.
MIOs (Medizinische Informationsobjekte) und PIOs (Pflegerische Informationsobjekte) sind XML-Dateien und werden von der Mio42 GmbH spezifiziert und veröffentlicht4. In den Spezifikationen werden zum einen die medizinischen und pflegerischen Inhalte in den Informationsobjekten genau definiert, zum anderen wird eine einheitliche Struktur der Daten vorgegeben, sodass eine automatische Interpretation durch Computerprogramme erfolgen kann. Der Mensch soll also in Zukunft Patientendaten nicht mehr manuell verarbeiten müssen. Die Standardisierung von Patientendaten in Form von MIOs und PIOs ist also als eine Art bundesweite einheitliche Sprache für Gesundheitsinformationen anzusehen. Wenn alle gängigen Softwareprodukte, die in Medizin und Pflege eingesetzt werden, diese einheitliche Sprache verstehen, können Patientendaten automatisiert und medienbruchfrei übermittelt und interpretiert werden.
Beispiele für MIOs:4
Beispiele für PIOs:4
Ein konkretes Anwendungsbeispiel könnte in Zukunft wie folgt aussehen:
Anna hat sich schon seit einigen Jahren eine persönliche elektronische Patientenakte (ePA) eingerichtet. Die Patientenakte wurde automatisch von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung angelegt. Über eine App kann sie ihre persönlichen Gesundheitsdokumente einsehen. Vor zwei Jahren hat sie bei ihrem Hausarzt Auffrischungsimpfungen bekommen. Die Impfungen wurden von ihrem Hausarzt in den elektronischen Impfpass (= ein MIO, das in ihrer ePA gespeichert ist) eingetragen. Außerdem nimmt Anna regelmäßig Medikamente. Der verschreibende Arzt hat die Verabreichungs-informationen als MIO-Medikationsplan in ihre ePA hochgeladen. Weiterhin hat ihr örtliches Krankenhaus mehrere Röntgenbilder von ihrer gebrochenen Rippe und dessen Heilungsprozess vor zwei Jahren also MIO-Bildbefund in ihrer ePA gespeichert. Seit einigen Wochen spürt Anna ein tiefes Stechen in ihrer Brust und sucht einen neuen Hausarzt auf, weil sie vor wenigen Monaten in eine neue Stadt gezogen ist. Über eine App erteilt Anna ihrem neuen Hausarzt eine Zugriffsberechtigung auf ihre ePA. Der Arzt kann sich nun ein umfassendes Bild von Annas Gesundheitszustand und ihren früheren Erkrankungen machen. Der schnelle und umfassende Informationsaustausch durch die ePA ermöglicht letztendlich eine zielgerichtetere und bessere Behandlung. Auf Kopfdruck kann der Arzt alle Informationen aus Annas ePA in sein hauseigenes Verwaltungssystem importieren. Ein manuelles Anlegen einer neuen Patientenakte für Anna ist nicht mehr nötig. |
Der PIO-Überleitungsbogen5 (PIO-ULB) ist das erste fertig spezifizierte PIO für die Pflege. Dieses PIO wurde im Rahmen des Forschungsprojektes CARE REGIO6 verwendet. Das Teilprojekt 3 des Forschungsverbundes CARE REGIO hat sich zum Ziel gesetzt, den Datenübertragungsprozess von pflegerelevanten Patientendaten im Rahmen einer Patientenüberleitung von einer Pflegeeinrichtung in eine andere zu digitalisieren und zu optimieren. In diesem Teilprojekt arbeiten die Technische Hochschule Augsburg7, das Universitätsklinikum Augsburg8 und zwei kooperierenden Pflegeeinrichtungen in Augsburg zusammen an der Konzipierung und Implementierung eines PIO-ULB Editors. Der Editor ist eine der ersten nutzbaren Implementierungen des PIO-ULB Standards überhaupt.
Der Editor soll PIO-ULB Dateien standardkonform generieren und importieren können. Ein nutzerfreundliches User Interface erleichtert dem Pflegepersonal das arbeiten mit dem neuen Standard. Beim Import von PIO-ULB Dateien wird die Datei auf Konformität zum Standard validiert. Der PIO-ULB Editor kann auf folgender Seite selbst ausprobiert werden:
Mehr Informationen über den PIO-ULB Editor und dessen Entwicklung sind auf der FAQ Seite zu finden9.
MIOs und PIOs werden als FHIR Datensatz realisiert. FHIR10 (Fast Healthcare Interoperability Resources) ist ein internationaler Standard zur standardisierten und maschinenlesbaren Abbildung von Gesundheitsdaten. Dieser internationale Standard kann an nationale Gegebenheiten oder anwendungsspezifische Kontexte angepasst werden. MIOs und PIOs sind also FHIR Datensätze, welche an einen speziellen Anwendungsfall (z.B. Impfpass oder Überleitungsbogen) angepasst wurden.
FHIR gibt die genaue Struktur der XML-Datei vor. Die Stammdaten eines Patienten können zum Beispiel wie folgt im XML-Format abgebildet werden:
Man sieht, dass die hierarchische Struktur der XML-Datei die Daten fein aufgliedert. Dadurch werden die Patienteninformationen maschinenlesbar, aber weniger gut lesbar für den Menschen. Eine MIO- oder eine PIO-Datei ist nicht dafür gedacht, vom Nutzer bzw. der Nutzerin in ihrer XML-Repräsentation (siehe Abb. 2) betrachtet zu werden. Es muss spezielle Software zum Anzeigen der MIOs und PIOs geben, welche die XML-Datei benutzerfreundlich darstellen.
Detailliertere Informationen bezüglich FHIR und dem strukturellen Aufbau von FHIR-Datensätzen sind auf der FAQ Seite zu finden9.
3: https://fachportal.gematik.de/anwendungen/elektronische-patientenakte
4: https://mio.kbv.de/site/mio
5: https://mio.kbv.de/display/ULB1X0X0
7: https://www.tha.de/Informatik/THA-ias/innolab/CAREREGIO.html
8: https://www.uk-augsburg.de/
9: https://pio-editor.de/html/FAQ.html
10: https://hl7.de/themen/hl7-fhir-mobile-kommunikation-und-mehr/warum-fhir/
11: https://simplifier.net/ulb/kbv_pr_mio_ulb_patient
Matthias Regner
matthias.regner@hs-augsburg.de
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Informatik
Schwerpunkt: Softwareentwicklung
HSA_innolab, CARE REGIO
Fakultät für Informatik
Hochschule Augsburg