Mobilisation im Krankenhaus

Eric Nijman MScPT and Kathrin Ebertsch M.A./ November 2, 2022/ Beruflich Pflegende, Mobilität, Pflegebasismaßnahmen, Pflegestudierende/ 0Kommentare

Was bedeutet Mobilisieren?

  • Mobilisieren bedeutet im engeren physiotherapeutischen Sinn etwas wieder beweglich machen wie z.B. ein Gelenk oder ein Gewebe
  • Erhalt oder Wiederherstellung der Mobilität

Was bedeutet Mobilität?

Mobilität ist laut WHO klassifiziert als eines der neun Domänen von Aktivität und Partizipation und wird definiert als das Vermögen eines Lebewesens, sich fortzubewegen und unterschiedliche Haltungen einzunehmen, Objekte zu tragen, bewegen oder zu manipulieren, zu laufen, rennen oder zu klettern und das Vermögen verschiedene Transportmittel nutzen zu können.

Warum ist Mobilität wichtig?

  • Patienten und Patientinnen sind im Krankenhaus, weil sie sich nicht selbst versorgen können.
  • Sie verbringen viel Zeit im Bett.
  • Diese Immobilität eines Patienten bzw. einer Patientin kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen und hierdurch den Heilungsprozess erheblich verzögern.
  • Erste negative Auswirkungen der Immobilität können bereits nach zwei Tagen einsetzen und im Extremfall Ursache weiterer Immobilität sein.

Was beeinflusst die Mobilität der Patienten und Patientinnen im Krankenhaus?

  • Die Gründe für Bewegungsmangel sind multifaktoriell, teilweise offensichtlich, aber schwer änderbar.
  • Offensichtliche Faktoren, wie Bewegungsmangel, weil Patienten und Patientinnen operiert wurden oder ihre Krankheit es nicht zulässt.
  • Verhältnisse und Verhalten spielen eine große Rolle. Gründe sind u.a.:
    • Die materielle Ausstattung fehlt, z.B. haben Patienten und Patientinnen keine passenden Schuhe, der Rollator ist noch im Pflegeheim oder ein Bettenlifter ist auf einer anderen Station.
    • Klinikinterne Prozesse sind nicht abgestimmt auf den bzw. die immer schwerer betroffenen Patienten bzw. Patientin und sehen daher keine Mobilisationen vor.
    • Die Meinung der Patienten und Patientinnen, ihrer Angehörigen und des Personals, dass Bettruhe die beste Erholung bringt.
  • Ein weiterer einschränkender Faktor ist Personalmangel, da bei fehlender Besetzung nicht mobilisiert wird, aus Angst die Patientensicherheit nicht gewährleisten zu können (z.B. im Bett liegend stürzt niemand).
  • Einfluss von Kleidung: Um die Pflege zu erleichtern, werden Krankenhaushemden angezogen. Mit diesem Hemd wird für die meisten Menschen das „Patient sein“ angeschaltet. Dies hat große Folgen, der bewegungsfreudige Mensch wird an sein Bett „gefesselt“. Eine Studie aus 2021 konnte zeigen, dass die Umsetzung von einem Bewegungsverbesserungsprogram nicht, wie oft befürchtet, zu einer Zunahme von Stürzen führt

Wer ist im Krankenhaus an der Mobilisation beteiligt?

  • Mobilisation ist eine interprofessionelle Aufgabe:
  • Pflegepersonal:
    • Aufnahme der Mobilität in die Pflegeplanung
    • Durchführung im Rahmen der pflegerischen Möglichkeiten
    • Im Rahmen der aktivierenden Pflege wird der Patient bzw. die Patientin befähigt sich selbst zu bewegen.
  • Angehörige können unterstützend tätig werden.
  • Physiotherapeutische Mobilisation wird bei anspruchsvollerer Mobilisation vom Arzt oder der Ärztin verordnet.

Was ist eine physiotherapeutische Mobilisation?

  • Ärztlich verordnete Maßnahme mit dem Ziel der Verbesserung der Möglichkeit eines Patienten bzw. einer Patientin sich fortzubewegen und verschiedene Haltungen einzunehmen bzw. dies zu erhalten.
  • Erstellung eines Behandlungsplans:
    • Vergleich des jetzigen Standes mit dem Stand von vor der Hospitation
    • Inhalt: spezifische Maßnahmen zur Entstauung, Schmerzlinderung und Beweglichkeitsverbesserung des betroffenen Körperabschnittes, Maßnahmen zur schnellstmöglichen Herstellung der selbständigen Mobilität
  • Um die Patientensicherheit bei möglichen Kreislaufproblemen gewähren zu können, wird bei Erstmobilisation die Pflege miteinbezogen. Deren Rolle reicht von Anwesenheit im Zimmer bis hin zur aktiven Mithilfe.
  • Einsatz von verschiedenen Hilfsmitteln: Unterarmgehstöcke (=UAGS), Rollatoren, hohe Gehwägen, Toilettenstuhl
  • Sind Patienten und Patientinnen neben Kreislaufinstabilität auch noch körperlich stark eingeschränkt, ist eine Behandlung mit zwei Physiotherapeuten bzw. -therapeutinnen in Betracht zu ziehen („Doppelbehandlung“).

Was ist der Unterschied zwischen der pflegerischen und physiotherapeutischen Mobilisation?

  • Physiotherapeuten und -therapeutinnen haben die Teilmobilisationsschritte im Fokus und erarbeiten diese mit den Patienten und Patientinnen. Diese werden dann von der Pflege genutzt.
  • Therapeutische Mobilisationsziele: z. B. Sitz an der Bettkante, Transfer von Bett zum Rollstuhl oder Treppensteigen.
  • Pflegerische Mobilisationsziele: Toilettengang oder Zahnpflege am Waschbecken.
  • Bei der physiotherapeutischen Mobilisation nutzen Physiotherapeuten bzw. -therapeutinnen ihr Wissen darüber, wie Menschen sich bewegen, wo sie unterstützt werden können, was schmerzhaft ist und wie damit umgegangen werden kann.
  • Physiotherapeuten und -therapeutinnen nehmen sich Zeit für diese Mobilisation und können somit auf den Patienten bzw. die Patientin eingehen und bei Angst vor Schmerzen oder Bewegung das Vorgehen erklären.
  • Physiotherapeuten und -therapeutinnen unterstützen die Selbstwirksamkeit der Patienten und Patientinnen.
  • Merke: Das bei der therapeutischen Mobilisation erarbeitete wird bei der pflegerischen Mobilisation im Alltag integriert. Der Patient bzw. die Patientin kann auf die Toilette mobilisiert werden, weil der Transfer im Stuhl aus Rückenlage über Sitz an der Bettkante erarbeitet wurde.

Wie wird die Mobilität der Patienten und Patientinnen beschrieben?

  • Als Experten und Expertinnen für das Haltungs- und Bewegungssystem obliegt Physiotherapeuten und – therapeutinnen die Einschätzung, wie mobil ein Patient bzw. eine Patientin ist, ob er bzw. sie selbständig ohne Hilfsmittel in sein Zimmer laufen kann oder einen Rollator benötigt, wieviel Hilfe er bzw. sie braucht, um sich an der Bettkante hinsetzen zu können usw..
  • Damit diese Einschätzung nicht nur auf Erfahrung basiert, wurden verschiedene Assessments entwickelt.
    • CHARMI
    • DEMMI
  • CHARMI:
    • Entwicklung für Befunddokumentation und Therapieplanung
    • Kann auch verwendet werden, um die Mobilität vor dem Krankenhausaufenthalt zu dokumentieren.
    • Orientiert sich am ICF-Konzept, indem nicht Mobilitätsdefizite, sondern der beste selbständig erreichbare Grad an Mobilität dargestellt wird.
    • In einer Rang-Skala von 0 bis 10 sind Mobilitäts-Items zusammengefasst und hierarchisch sortiert von kompletter Immobilität (0) bis zur vollen Mobilität (10).
  • DEMMI:
    • Entwicklung als geriatrisches Assessment
    • Auch validiert für Schlaganfälle, Parkinsonpatienten und Patienten und Patientinnen mit Hüftfrakturen.
    • Benötigt keine Materialien, muss aber ausgewertet werden.
    • Assessment auf Ordinalskalen- Niveau, welches mittels 15 Items den Mobilitätsstatus von geriatrischen Patienten und Patientinnen über das gesamte Mobilitätsspektrum abbilden kann.
    • Hierarchischer Aufbau von leicht zu schwer
    • In fünf Subkategorien (Bett, Stuhl, statisches Gleichgewicht, Gehen und dynamisches Gleichgewicht) testet man jeweils verschiedene Aktivitäten.
    • Das Assessment ist in der Lage, physiotherapeutische Behandlungserfolge sensitiv nachzuweisen, Behandlungsbedarf aufzuzeigen und könnte als objektive Grundlage für die Beurteilung der Effektivität therapeutischer Maßnahmen dienen.

Was benötigt es, um die Mobilität des Patienten bzw. der Patientin bei Entlassung aus dem Krankenhaus zu analysieren?

  • Informationen über den Mobilisationsstatus des Patienten bzw. der Patientin vor der Einlieferung ins Krankenhaus
  • Bestandsaufnahme seines derzeitigen Mobilisationsstatus
  • Einschätzung über das notwendige Mindestmaß an Mobilität, um wieder in die häusliche Situation zurückkehren zu können
  • Prognose, ob dieser Mobilisationsstatus erreicht werden kann

Diese Analyse ist eine interprofessionelle Aufgabe. Es braucht dazu unter anderem eine Anamnese/Untersuchung/Behandlungsplan von Ärzten bzw. Ärztinnen, der Pflege und den involvierten therapeutischen Berufen sowie des Sozialdienstes. Hier sind Assessments das Mittel eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung des Patienten bzw. der Patientin zu liefern.

Literatur

Braun, T. & Grüneberg, C. (2013): Mobilität im Schnellcheck. Physiotherapie, 2, 43-45.

Crabtree, A., Lane, T. J., Mahon, L., Petch, T., Ekegren, C. L., Crabtree, A., Lane, T. J., Mahon, L., Petch, T., & Ekegren, C. L. (2021): The impact of an End-PJ-Paralysis quality improvement intervention in post-acute care: an interrupted time series analysis. AIMS Medical Science 2021 1:23, 8(1), 23–35. https://doi.org/10.3934/MEDSCI.2021003

De Morton, N. A., Davidson, M., & Keating, J. L. (2008): The de Morton Mobility Index (DEMMI): An essential health index for an ageing world. Health and Quality of Life Outcomes, 6, 63. https://doi.org/10.1186/1477-7525-6-63

Liebl, M. E., Elmer, N., Schroeder, I., Schwedtke, C., Baack, A., & Reisshauer, A. (2016): Introduction of the Charité Mobility Index (CHARMI) – A Novel Clinical Mobility Assessment for Acute Care Rehabilitation. PLoS ONE, 11(12). https://doi.org/10.1371/JOURNAL.PONE.0169010

Rothaug, O. & Müller, S. (2016): Mobilisation, Prävention und Physiotherapie. In: Larsen, R. (Hrsg.) Anästhesie und Intensivmedizin für die Fachpflege (556 – 560). Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.

WHO (o.J.): International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Online verfügbar unter: https://www.who.int/standards/classifications/international-classification-of-functioning-disability-and-health (zuletzt geprüft am 15.07.2022

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Eric Nijman MScPT
Bereichsleitung Physiotherapie und Ergotherapie am Universitätsklinikum Augsburg
Redaktionelle Verantwortlichkeit am Universitätsklinikum Augsburg

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